Bei der Entstehung von Krebs laufen die genetischen Programme einer Zelle aus dem Ruder. Während Tumore von Erwachsenen viele verschiedene DNA-Mutationen in sich tragen, die den Krankheitsverlauf beeinflussen, sind solche genetischen Defekte bei Kinderkrebs viel seltener. Trotzdem können Krebserkrankungen von Kindern sehr unterschiedlich verlaufen. Für das Ewing-Sarkom, einen aggressiven Knochentumor, konnten ForscherInnen der St. Anna Kinderkrebsforschung und des CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften dieses Rätsel nun lösen. Dieser Tumor zeigt eine unerwartete Vielfalt an epigenetischen Veränderungen. Die neue, im renommierten Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlichte Studie trägt zum besseren Verständnis von Kinderkrebs bei und eröffnet Perspektiven für die Entwicklung personalisierter Therapien.
Tumore von Erwachsenen, zum Beispiel Brustkrebs oder Darmkrebs, können viele Tausend DNA-Mutationen aufweisen, die sich im Lauf des Lebens im Genom der Krebszellen angehäuft haben. Sie führen zu einer Reihe von Veränderungen wie unkontrolliertem Wachstum, Invasion in benachbartes Gewebe oder der Umgehung des Immunsystems, die das gefährliche Wuchern der Krebszellen ermöglichen. Auch Tumore von Kindern zeigen diese krebsspezifischen Veränderungen, jedoch weisen sie kaum DNA-Mutationen auf.
Das trifft auch auf das Ewing-Sarkom zu – ein aggressiver Knochentumor bei Kindern und Jugendlichen. Eine einzige genetische Veränderung verursacht diese Krankheit. Dennoch sind sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe beim Ewing-Sarkom zu beobachten, die sich nicht mit DNA-Mutationen erklären lassen. Um das Rätsel zu lösen, untersuchte ein Forscherteam aus Österreich, Frankreich Deutschland und Spanien unter der Leitung von Dr. Eleni Tomazou von der St. Anna Kinderkrebsforschung viele Ewing-Tumore – und wurde im Epigenom dieser Tumore fündig.
Mit bioinformatischen Methoden, die der Erstautor Nathan Sheffield am CeMM entwickelt hat, untersuchten die Teams die DNA-Methylierungen der Krebszellen – einer der wichtigsten Aspekte des epigenetischen Codes. Hier zeigte sich, dass Ewing-Sarkome ein einzigartiges Muster an DNA-Methylierungen besitzen. Es unterscheidet sich deutlich von anderen Krebsarten und ist von Patient zu Patient verschieden ausgeprägt. Außerdem fanden die Forscher epigenetische Hinweise, dass sich Ewing-Sarkome aus verschiedenen Zellstadien entwickeln können, die von vornherein unterschiedliche DNA-Methylierungen besitzen.
Die vielfältigen klinischen Verläufe beim Ewing-Sarkom lassen sich also epigenetisch erklären: Da DNA-Methylierungen direkte Auswirkungen auf die Genaktivität haben, führt die Kombination aus Ewing-Sarkom-spezifischen Veränderungen und dem epigenetischen Zustand der Ursprungszelle zu den unterschiedlichen Krankheitsverläufen. Außerdem scheint eine hohe epigenetische Vielfalt mit einem aggressiveren Tumor und häufigeren Metastasen einherzugehen.
„Diese neuen Ergebnisse zur Biologie des Ewing-Sarkoms bilden die Basis für die Entwicklung von epigenetischen Biomarkern für eine verlässliche Vorhersage des Krankheitsverlaufs. Nach zwei Jahrzehnten der Stagnation in der Therapie dieser bösen Erkrankung versprechen wir uns neue Impulse für die personalisierte Behandlung der Patienten“, gibt sich Heinrich Kovar, der wissenschaftliche Leiter der St. Anna Kinderkrebsforschung, optimistisch.
„Wir sind davon überzeugt, dass die am Ewing-Sarkom gewonnenen Erkenntnisse auch für andere Krebserkrankungen mit geringer genetischer Diversität von Bedeutung sind“, fügt Christoph Bock, Gruppenleiter am CeMM, hinzu und ergänzt: „In der Ära der Präzisionsmedizin ist es entscheidend, die Vielfalt von Tumoren exakt zu erfassen, denn nur durch das genaue Verständnis ihrer molekularen Mechanismen können personalisierte Therapien entwickelt werden, die Krebs gezielt und mit möglichst wenig Nebenwirkungen bekämpfen.“
Die Studie: „DNA methylation heterogeneity defines a disease spectrum in Ewing sarcoma“ erscheint in der Zeitschrift Nature Medicine am 30. Januar 2017. DOI:10.1038/nm.4273
Förderung: Die Studie wurde von der Österreichischen Nationalbank, einer wohltätigen Spende der Kapsch Group an die St. Anna Kinderkrebsforschung, dem österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, dem Human Frontier Science Program und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert.